Auf einen Kaffee mit… Cordula Thym
Im Herbst 2019 war sie unsere tausendste Userin, im Frühjahr 2021 war sie auf Okto dabei – Zeit, die Filmemacherin, gelernte Editorin und Tonfrau sowie LGBTIQ+ Aktivistin Cordula Thym näher kennenzulernen.

Cordula Thym am Set © Catharina Freuis
In ihren zwei abendfüllenden Dokumentarfilmen verliebt verzopft verwegen (2009) und FtWTF – Female to What the Fuck (2015), beide realisiert gemeinsam mit Katharina Lampert, beschäftigt sie sich zum Beispiel mit der Veränderung von Geschlechtsidentitäten oder mit lesbischen Biographien der 1950er und 60er Jahre. Die Werke reihen sich ein in ein Filmschaffen, das marginalisierte Perspektiven in den Mittelpunkt rückt, sei es in Bezug auf Körper, Sprache, Bildung oder Zeitgeschichte.
Smart: Du hast schon verschiedene Stationen in der Filmbranche hinter dir. Wie würdest du dein aktuelles Berufsbild beschreiben?
Cordula Thym: Ich bin Dokumentarfilmerin, Editorin und Tonfrau. Mittlerweile mache ich mehr Regie und Produktion in meinen eigenen Projekten, u.a. das partizipative Videoprojekt Not Ashamed (2017), in dem sich Mädchen und junge Frauen mit Bodyshaming auseinandersetzen. Derzeit konzipiere ich mit Eva Egermann eine mehrteilige Crip-Doku-Fiction.
Das klingt, als würdest du die verschiedensten Rollen und Tätigkeiten jonglieren. Wie können wir uns deinen Arbeitsalltag vorstellen?
Das stimmt. Ich muss zunächst viel Arbeit in Planung und Förderanträge investieren, erst für die Projektentwicklung, dann für die Herstellung. Wenn die Finanzierung gesichert ist, kann ich umsetzen – bei FtWTF zum Beispiel haben wir insgesamt vier Jahre gedreht, nicht durchgehend, aber es ging ja um die Begleitung von langfristigen Prozessen. Danach war ich über vier Monate mit dem Schnitt beschäftigt, die Postproduktion hat insgesamt ein halbes Jahr gedauert.
Das heißt, es gibt regelmäßig diese ‚Stehzeiten‘. Wie und wo ist da Smart in’s Spiel gekommen?

Poster zum Film FtWTF (2015)
Ich war eine Weile in einer Produktionsfirma als Schnittassistentin tätig, wollte aber eigene Projekte machen. Dann habe ich in einem ‚Mischmasch‘ aus Anstellungen, selbstständiger Tätigkeit und Lohnersatzleistung gearbeitet. Das war ziemlich aufreibend. Zum Glück bin ich dann zu Smart gekommen – die Genossenschaft hat mir einiges erspart, vor allem in der Pandemie. Ich bin froh, dass mich das nicht mitten in der Selbständigkeit erwischt hat, und dass ich bei Smart immer gut beraten werde. Der Schritt von der Assistenztätigkeit hin zu eigenen Projekten war jedenfalls einer, der von relativer Sicherheit weg und zu mehr drohender Prekarität geführt hat.
Wo siehst du da die größten Hürden?
Ganz klar im Geldmangel – an eigenen Projekten muss ich immer viel mehr arbeiten, als ich budgetieren kann. Außerdem bringt mich meine Konzentration auf Non-Mainstream-Themen in eine Außenseiterin-Position, das war schon während meiner Ausbildung an der Filmakademie so und fühlt sich noch immer so an. Wobei sich mit FC Gloria und ähnlichen Initiativen natürlich schon etwas verändert hat.
Dabei laufen deine Filme auf namhaften Festivals und wurden mehrfach ausgezeichnet. Relativ eigenständig hat zum Beispiel 2017 den Schnittpreis der Diagonale gewonnen. Wie schneidest du einen preisgekrönten Film?
Für mich ist Schneiden wie Schreiben. Ich habe zwar noch nie ein Buch geschrieben, aber so ähnlich stelle ich es mir vor: Du schreibst den Film mit Bildern, Rhythmus, Dramaturgie und Tempo. Ständig triffst du Entscheidungen, was dient der Erzählung, was ist überflüssig? Das heißt auch, dass du den Film immer wieder von Anfang bis Ende anschauen musst, um zu sehen, was funktioniert, und um ihn auf die Essenz ‚einzukochen‘.

Poster zum Film verliebt verzopft verwegen (2009)
Und woher kommt deine Motivation, dich mit marginalisierten Themen zu beschäftigen?
Das hängt mit meiner Biographie und meinem Aktivismus zusammen, ich war viele Jahre aktiv in der Türkis Rosa Lila Villa. Bei Hana, Dul, Sed, Brigitte Weichs Doku über das nordkoreanische Frauenfußballteam zum Beispiel, hat mir dieser Zugang ‚von Frau zu Frau‘ gefallen, das hatte nichts Exotistisches oder Eurozentristisches. Dann haben uns lesbische Vorbilder und Geschichten in Wien gefehlt, daher kam Katharina [Lampert] die Idee für verliebt verzopft verwegen. Und das Thema Transitions, also der Übergang von einer Geschlechtsidentität zu einer anderen, war völlig unterrepräsentiert, zu Transmännlichkeiten und nicht-binären Geschlechtsidentitäten gab es vor zehn Jahren im deutschsprachigen Raum überhaupt sehr wenig. Das war eine Lücke, die wir mit FtWTF füllen wollten.
Würdest du dich als feministische Filmemacherin bezeichnen?
Ja, auf jeden Fall.
Was bedeutet das für dich?
Der Feminismus stand am Anfang meiner Politisierung, weil ich diesbezüglich am eigenen Leib zum ersten Mal die Ungerechtigkeit unserer Gesellschaft erfahren habe. Das hat sich dann um queere, dekoloniale und anti-ableistische[1] Politiken erweitert. Ich möchte dem binären Blick filmisch etwas entgegensetzen und gesellschaftliche Zusammenhänge aufzeigen – aber nicht akademisch, sondern auf eine zugängliche Art und Weise. Das ist mir sehr wichtig.
Interview & Text: Xenia Kopf
[1] Anti-Ableismus beschäftigt sich kritisch mit der Norm des ‚gesunden‘ und ‚fähigen‘ Körpers (able-bodied) und seinen Abweichungen: ‚behindert‘, ‚dysfunktional‘, usw. Mehr z.B. im Crip Magazin (Glossar-Eintrag in Ausgabe 1, S. 24).