Auf einen Kaffee mit… Anderwald + Grond
Ruth Anderwald und Leonhard Grond schaffen seit 1999 als Kollektiv Anderwald + Grond innovative, interdisziplinäre und inhaltlich überaus vielfältige Kunst- und Forschungsprojekte. Die thematische Bandbreite reicht von der Frage danach, ‚wie wir regiert werden wollen‘, über lokale Erinnerungs- und Widerstandskultur bis hin zum Werk einzelner historischer Kunstschaffender und zu poetischen Themen. Ein häufig wiederkehrendes Motiv ist dabei die Schnittstelle zwischen Kunst und Öffentlichkeiten. Vielen Wiener U-Bahnfahrer*innen wird ihr Projekt Der Rohbau der ZukunftTM (gemeinsam mit Anna Kim) ein Begriff sein. Seit 2018 sind Anderwald + Grond Smart-Genoss*innen.
Update: Mit September 2021 wurden Ruth Anderwald und Leonhard Grond auf die Professur für das Doktoratsprogramm Künstlerische Forschung der Universität für Angewandte Kunst Wien berufen. Mit Smart bleiben sie weiterhin verbunden, was uns sehr freut!

Leonhard Grond (li.) und Ruth Anderwald
Smart: Für jemanden, der euch noch gar nicht kennt: Wie würdet ihr euer berufliches Profil beschreiben?
Ruth Anderwald: Wir sind visuelle Künstler*innen, haben aber auch eine kuratorische und eine künstlerisch forschende Praxis. Unsere Projekte sind deshalb meistens interdisziplinär – etwa zwischen Film, Videokunst und Literatur – und längerfristig angelegt.
Leonhard Grond: Diese künstlerisch forschende Seite erfordert entsprechende Planung und Finanzierung. Lange forschende und interdisziplinäre Phasen müssen wir uns auch leisten können, hier sind zum Beispiel Ankäufe eine gute Finanzierungsquelle.
Aktuell beschäftigt ihr euch einerseits mit dem ‚Taumel als Ressource‘, andererseits mit Kunst im Kontext der Befreiung 1945.
Grond: Taumel – Ein Ressource läuft seit 2014 und ist ein interdisziplinäres, künstlerisch forschendes Projekt, an dem viele andere Künstler*innen ebenso wie Philosoph*innen, Innovationsforscher*innen und Psychobiolog*innen beteiligt sind. Wir beschäftigen uns mit der Frage, ob das Taumeln, das vor allem mit negativen Erfahrungen wie Unsicherheit und Orientierungslosigkeit assoziiert wird, auch produktiv sein kann.
Anderwald: Ein weiteres wichtiges Thema für uns ist die Rolle der Kunst in unserer Erinnerungskultur. Baustelle Erinnerung ist eine künstlerische Begleitung des Umbaus der Österreich-Ausstellung in Block 17 des Museum Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, wo es um eine zeitgemäße Darstellung der Rolle Österreichs geht, jenseits des Opfer-Mythos. Art Works! European Culture of Resistance and Liberation (entwickelt mit Roman Fröhlich und Stiftung wannseeFORUM Berlin) ist ein EU-Projekt an der Schnittstelle von politischer und kultureller Jugendarbeit sowie künstlerischer Forschung. Beteiligt sind das Zeithistorische Zentrum Melk in Österreich, das wannseeFORUM in Deutschland, das Museion Bozen in Italien und das MSU Museum zeitgenössischer Kunst Zagreb in Kroatien, jeweils mit einer Jugendgruppe. Hier werden in einem ko-kreativen Prozess kollektive Kunstwerke entstehen, die den Wert der Befreiung vom Faschismus für die europäische Geschichte im Hier und Jetzt vermitteln sollen.
Der Taumel und die Befreiung vom Faschismus, wie geht das zusammen?
Grond: Wir glauben ja, dass das sehr viel miteinander zu tun hat! Etwa: Ob wir einen gemeinsamen Boden haben, …
Anderwald: … oder brauchen, um mit grundlegenden Veränderungen umgehen zu können.
Grond: Das ist natürlich eine gesellschaftspolitische Frage.
Das Jonglieren mit mehreren parallel laufenden Projekten klingt nach einer ziemlichen Herausforderung. Wie meistert ihr euren Arbeitsalltag unter diesen Bedingungen?
Anderwald: Die Vorbereitung interdisziplinärer Projekte erfordert viel Zeit und Arbeit, ganz besonders in der Kommunikation. Für unsere Planung berücksichtigen wir natürlich die unterschiedlichen Projektstadien, was ist gerade akut, was tritt in den Hintergrund. An einem typischen Arbeitstag stehen wir dann sehr früh auf (lacht), machen unsere Kinder für die Schule fertig, besprechen bei einem Spaziergang, was alles zu tun ist – und dann arbeiten wir das ab.
Grond: Das klingt vielleicht unspektakulär (lacht), aber wir mögen das sehr und sehen die Projektentwicklung selbst als einen künstlerischen Akt, als eine soziale Skulptur im weiteren Sinn. Es macht uns unglaublich Freude, Positionen zu vermitteln und eine Projekt-Grundstruktur zu schaffen.
Ihr seid Smart-User*innen und auch Genoss*innen, also stolze Miteigentümer*innen der Coop. Wie kam es dazu und wie beeinflusst es eure Arbeit?
Grond: Wir sind schon vor fünfzehn Jahren in Frankreich ähnlichen Modellen begegnet, haben das aber wieder aus den Augen verloren.
Anderwald: In Wien habe ich bei einer Fortbildung von Smart erfahren und als dann ein größerer Ankauf anstand, sind wir der Coop beigetreten – der Gedanke des Kollektivs gefällt uns. Das Geld aus dem Ankauf konnten wir über Smart in eine Anstellung umwandeln, und das hat uns wiederum ermöglicht, das EU-Projekt vorzubereiten.
Grond: Diese Absicherung, auch für uns als Familie, bedeutet auch Qualitätssicherung für die künstlerische Arbeit. Kreativität braucht ja bestimmte Rahmenbedingungen, um florieren zu können.
Anderwald: Da braucht man nur bei Virginia Woolf nachschauen: ‚A room and money of one’s own‘!
Interview & Text: Xenia Kopf

Leonhard Grond (li.) und Ruth Anderwald im Café Zartl
© Xenia Kopf