So wollen wir morgen arbeiten
Presseaussendungen, Smart - 28/06/2019 - -Wohin steuert die digitalisierte Arbeitswelt? Was tun angesichts der zunehmenden Fragmentierung der Arbeit? Wie der Erosion der sozialen Sicherung begegnen? Diesen Fragen haben wir uns gemeinsam mit ÖGV und Uni Wien gestellt. Eine der Antworten: Genossenschaften und andere Formen von ‚Coops‘ haben das Zeug zum Zukunftsmodell.

Nachschau zur Tagung: Arbeit neu denken. Cooperative Lösungsansätze für eine Ökonomie der Zukunft (7. Juni 2019, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Uni Wien) Update: Alle Vorträge und Präsentationen jetzt online!
Vielerorts ist das ‚Normalarbeitsverhältnis‘ nicht mehr die Norm, sondern die Ausnahme. Künstlerische Arbeit ist ein Paradebeispiel dafür, aber auch kreative und wissensintensive Tätigkeiten, Bildungs-, Gesundheits- oder Pflegedienste sind zunehmend betroffen. Statt geregelter (Vollzeit-)Anstellungen sind flexible Projektarbeit, Neue Selbstständigkeit und oft wechselnde Beschäftigungsformen immer häufiger Arbeitsalltag. Das resultiert in niedriger Bezahlung oder überhaupt schwer durchschaubaren Lohnstrukturen, lückenhafter Sozialversicherung und hohem administrativen Aufwand, u.a. was Steuern und Sozialversicherung betrifft. Und viele von uns müssen das alles ganz allein stemmen.
Coops: eine gemeinschaftliche Lösung
Genossenschaften und andere cooperative Arbeitsmodelle – wie Smart – sind ein Ausweg aus dieser Prekarisierungs- und Vereinzelungsfalle. Sie gehören allen ihren Mitgliedern, werden demokratisch selbstverwaltet und ermöglichen unabhängiges Arbeiten im solidarischen Verbund mit Anderen. Coops sind eine Form gemeinschaftlicher Selbsthilfe: Sie stellen sich die Strukturen, die die Mitglieder für nachhaltiges Arbeiten brauchen, selbst her.
Traditionsreiches Modell mit Verjüngungsbedarf
In Österreich gibt es Genossenschaften schon lange und in vielen Sektoren, wie Barbara Pogacar vom ÖGV auf der Tagung erläutert. Allerdings bleiben sie in der öffentlichen Wahrnehmung oft unsichtbar. Wer weiß schließlich, dass die Austria Presse Agentur APA eine Genossenschaft ist? Doch genau das ist sie, und „in einer digitalisierten Zukunft ist die Genossenschaft das beste Modell,“ ist APA-Geschäftsführer Clemens Pig überzeugt.

Aber noch sind die Genossenschaften zu introvertiert, treten zu wenig nach außen für das Modell ein, betonen die Vorteile nicht nachdrücklich genug. Auch das leicht verstaubte Image ist nicht sonderlich hilfreich – „Kein Herz schlägt schneller bei dem Namen ‚Edeka‘,“ bringt es der Arbeitsforscher Trebor Scholz (New School, NY) auf den Punkt.
Verteilungsgerechtigkeit und Wert der Arbeit
Dabei fördern gerade Coops ein ganzheitliches Verständnis von Arbeit. Soziologin Sabine Neuhofer (Uni Wien) betont:
„Wie sprechen wir über Dinge wie Arbeit oder Gerechtigkeit? Welchen Wert messen wir ihnen bei? Genossenschaften und Coops können diesen Diskurs maßgeblich beeinflussen. Sie können ein Verständnis von Verteilungsgerechtigkeit fördern, das weniger an Leistung und mehr an Bedarf geknüpft ist.“
Ela Kagel (Community-Hub SUPERMARKT Berlin) pflichtet ihr bei:
„Wir reduzieren Arbeit viel zu oft auf Erwerbsarbeit und übersehen nicht entlohnte Sorgearbeit: Menschen müssen sich auch um ihre Eltern kümmern, oder um die Bildung für ihre Kinder. Coops können das viel besser in ihre Prinzipien einzubauen, und zwar, ohne dass die Produktivität darunter leidet.“
Im Gegenteil: Menschen in stabilen und zufriedenen Arbeitsverhältnissen arbeiten erwiesenermaßen produktiver. Wirtschaftlicher Erfolg und verantwortungsvolles Handeln wirken also nicht entgegengesetzt, sondern verstärken sich zu einer ‚Win-Win‘-Situation.

Ökonom Christian Hopp (RWTH Aachen) und Wirtschaftswissenschaftler Oliver Fabel (Uni Wien) sind außerdem überzeugt, dass gegenseitiges Vertrauen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe für Genossenschaften immens wichtig sind, gerade bei Business-Kooperationen.
Faire Vernetzung – Herausforderung Digitalisierung
Die Digitalisierung stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Digitale Plattform-Unternehmen wie Airbnb oder Uber haben solidarische Plattform-Modelle übernommen und monetarisiert, so Scholz. Er erklärt in seiner Keynote zur Tagung, warum deren Geschäftsmodell so erfolgreich und gleichzeitig so problematisch ist: Es erleichtert den Zugang zu Aufträgen (‚gigs‘) und automatisiert die Zahlungsprozesse, drückt dabei aber auch Löhne und höhlt Sozialstandards aus. 20–30%, manchmal bis zu 50% der Einnahmen werden von den Plattformen abgeschöpft, das Geschäftsrisiko dagegen auf die Einzelnen abgewälzt. Scholz:
„Was angesichts von Wartungskosten und unbezahlten Stehzeiten unterm Strich für die ‚gig workers‘ übrig bleibt, wissen viele oft nicht. Und die Plattform-Unternehmen deklarieren sich als reine Technologie-Unternehmen und ziehen sich so aus der arbeits- und sozialrechtlichen Verantwortung.“
Genau hier liegt der Unterschied zu den Platform Coops, also digitalen Plattform-Genossenschaften, die Scholz weltweit beforscht und aktiv unterstützt: Sie stehen im Eigentum und unter der demokratischen Verwaltung ihrer Mitglieder, und sie verbessern Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Produktivität und Krisenresistenz. Das von Scholz mit initiierte Online-Verzeichnis platform.coop zeigt, dass es für (fast) jeden Tech-Giganten eine lokale, genossenschaftlich organisierte, faire Alternative gibt:
- Fairbnb bietet Ferienwohnungen vorerst in Amsterdam, Venedig und Barcelona,
- Up & Go vermittelt Haushaltsdienstleistungen in New York,
- Taxifahrten werden von Eva in Montreal und Cotabo in Bologna angeboten,
- bei Stocksy sind Stockfotos zu fairen Bedingungen zu haben und
- Resonate ist ein alternativer Anbieter für Musikstreaming, der auch den Musiker*innen faire Bezahlung garantiert.
- Zahlreiche Coops sind außerdem in Südamerika, Afrika oder Indien zu finden: So etwa Cataki (Kooperative informeller Abfallsammler und Recycling-Arbeiter*innen in Brasilien) oder die Self Employed Women’s Association (Vereinigung informeller Arbeiterinnen in Indien). Sie nutzen die Chancen der Digitalisierung, um den Marktzugang für ihre Mitglieder zu verbessern.

Ein konkretes Beispiel aus Österreich ist das Vienna Cherry Chapter der Wiener IT-Genossenschaft nwow, präsentiert von Wolfgang Aigner und Wolfgang Wittmer: Eine dezentrale, kostengünstige und ökologisch nachhaltige ‚Edge Cloud‘ als „Gegenkonzept zur massiven Zentralisierung des Internets durch Tech-Riesen wie Google oder Amazon, wie wir sie heute erleben,“ so Aigner.
Lob für Smart
Sabine Kock und Lisa Pointner stellten auch Smart bei der Tagung vor. Uns freut natürlich ganz besonders Trebor Scholz’ Meinung dazu:
„Smart bindet Freelancer vollumfänglich in die Versicherungssysteme ein – das ist eine fantastische Intervention, und vielleicht die wirksamste der ganzen Welt.“
Dieses Lob ergeht natürlich nicht nur an uns, sondern an das Modell Smart an sich und damit auch an unser gesamtes europäisches Netzwerk. Wir sehen es als Bestätigung, dass wir auf einem guten Weg sind, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Mitglieder und User praktisch und nachhaltig zu verbessern.
Herzlichen Dank an unsere Partner*innen, die Sprecher*innen und alle Teilnehmer*innen der Tagung für ihre Inputs!
